Inzwischen sollte jeder mitbekommen haben, dass wir vor der größten Transformation der Arbeitswelt stehen, die es je gegeben hat. Und die vor allem uns alle betrifft. Und diese Transformation nimmt in 2025 weiter richtig Fahrt auf. KI macht schon heute Dinge möglich, die noch in der nahen Vergangenheit undenkbar gewesen sind.

In meinem persönlichen Arbeitsalltag sind KI-Tools längst zu „Siebenmeilenstiefeln“ bei der Erledigung wiederkehrender Aufgaben wie Informationsrecherche, Präsentationserstellung, Übersetzungen, Wissensaufnahme und -management und bei der Beantwortung von Emails geworden. Im Vergleich zu letztem Jahr kann ich mir 1-2 Stunden Arbeitszeit pro Tag dadurch einsparen. Jeden Tag „reinvestiere“ ich davon mindestens 45 Minuten, um zu lernen. Ich tausche mich aus mit meinen KI-Mentoren aus unterschiedlichen KI-Ökosystemen und probiere ihre persönlichen „KI-Hacks“ und Lieblings-Tools aus. Ich „lese“ viel über neue KI-Entwicklungen in unterschiedlichen Bereichen, wobei ich mir hier KI-basiert individuelle Executive Summaries erstellen lasse. Vor allem gehe ich selber bei konkreten Aufgaben täglich in die Anwendung. Das ist für mich der größte Hebel, um zu lernen und weiterzukommen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass ich Ende 2025 zusätzliches „Skill-Enhancement“ und weitere Produktivitätssteigerungen in meiner persönliche Arbeit realisiert haben werde.

Future of Jobs – Quo Vadis?

Gerade ist der Future of Jobs Report 2025 vom World Economic Forum erschienen. (Die vollständigen 290 Seiten lesen wir alle nicht, aber ich empfehle bei Interesse, NotebookLM von Google oder den Co-Pilot von Microsoft zu verwenden, um die für Euch relevanten Informationen zu extrahieren.) Eine der Kernbotschaften des Berichts ist, dass KI bis 2030 kein „job killing monster“ am globalen Arbeitsmarkt sein wird. Dem Bericht zufolge werden bis 2030 voraussichtlich 170 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen, was 14 % der heutigen Gesamtbeschäftigung entspricht. Allerdings wird dieses Wachstum durch den Verlust von 92 Millionen derzeitigen Arbeitsplätzen, also 8 % der Gesamtbeschäftigung, aufgehoben, was weltweit zu einem Nettowachstum von 78 Millionen Arbeitsplätzen bis 2030 führt.

Jedoch macht der Bericht auch deutlich, dass es zu signifikanten Kompetenz- und Anforderungsverschiebungen kommen wird. Es ist eine große gesellschaftliche und unternehmerische Transformationsaufgabe, denjenigen Menschen, deren Fähigkeiten durch Technologie schon in naher Zukunft entwertet werden, neue Kompetenzen zu vermitteln, die sie beschäftigungsfähig halten. Gelingt diese Transformationsaufgabe nicht, werden wir in gefährlichem Ausmaß einen Trend sehen, der heute schon am Arbeitsmarkt zu beobachten ist: Die Gleichzeitigkeit von Fachkräftemangel und Arbeitslosigkeit.

Dies führt mich zu dem Schwerpunkt von dieser Newsletter-Ausgabe: Welche Fähigkeiten machen uns Menschen unersetzlich am Arbeitsmarkt? Welche Tätigkeiten können wir Menschen auch in mittelfristiger Zukunft deutlich besser ausführen als Maschinen? Auf was können wir bauen, wenn wir unsere Beschäftigungsfähigkeit erhalten und unsere Teamfähigkeit mit Technologie ausbauen möchten? Ich nenne diese Fähigkeiten humane Super Skills.

Was wir Menschen deutlich besser können als Maschinen

Werfen wir also einen differenzierten Blick darauf, in welchen Bereichen wir Menschen den Maschinen klar überlegen sind. Betonen möchte ich allerdings, dass das Grundprinzip am Arbeitsmarkt nicht „Mensch gegen Maschine“, sondern „Mensch mit Maschine“ lautet. Es geht darum, zu überlegen, wie wir einen komplementären und synergistischen Paartanz aus Mensch und Maschine eingehen, bei dem stärkenbasiert mal der eine, mal der andere führt.

Welche humanen Superskills machen uns zu unersetzlichen Tanzpartnern?

  • Handwerkliches und Feinmotorisches: Das „moravsche Paradox“ besagt, dass Aufgaben, die uns Menschen sehr leicht fallen, Robotern ziemlich schwer fallen, weil niedrigrangige feinmotorische Fähigkeiten sehr hohe Rechenressourcen erfordern. Bereits ein zweijähriges Kind kann problemlos reife Erdbeeren pflücken, für Roboter ist es schwer, diese feinmotorische Fingerfertigkeit und Beweglichkeit gut nachzuahmen. Ein geschickter Handwerks-Azubi kann in einem engen Raum ein altes Waschbecken abmontieren und ein neues anbringen, ein Roboter tut sich hier weiterhin schwer.
  • Ethisches und Moralisches: Algorithmen besitzen per se keine Werte, sondern übernehmen das Wertegerüst ihrer Entwickler. Ethisches Beurteilen von Situationen, Abwägen von verschiedenen Argumenten, ausbalanciertes Bewerten von Handlungsoptionen, der Umgang mit Multirationalität sowie erfahrungsbasiertes Entscheiden unter Rückgriff auf universelle menschliche Werte wie Würde, Chancengleichheit und Nächstenliebe: das sind Stärken von uns Menschen, da es sowohl ethisches Fingerspitzengefühl als auch menschliche Empathie bedarf.
  • Intuitives und Unlogisches: In vielen Tätigkeitsfeldern ist Intuition gefragt, auch wenn sie der Datenlage oder der rationalen Logik widerspricht. Beispielsweise ist oftmals das Relevanteste in einem Gespräch zwischen Menschen nicht nur das Gesagte, sondern das Unausgesprochene. Und kulturelle Transformationsprojekte in Unternehmen sind meist nicht nur mit Logik und rationalen Argumenten voranzutreiben, sondern mit Intuition und empathischem Fingerspitzengefühl für die Stimmung in der Belegschaft.
  • Interdisziplinäres und Kontextuales: Eine KI ist sehr gut darin, definierte Aufgaben zu übernehmen, nicht jedoch, verschiedene Disziplinen zusammen zu führen, Kontextinformationen einzubeziehen und auf dieser Basis kreative, holistisch bewertete neue Lösungen zu finden. Ein diverses, interdisziplinäres Team aus Menschen durchdringt eine Aufgabenstellung anders als eine künstliche Intelligenz. Allerdings macht KI gerade hier in diesem Bereich derzeit große Fortschritte.
  • Vertrauenstiftendes: Menschen vertrauen Menschen immer noch mehr als Technologie. Überall, wo Vertrauen zwischen Menschen eine zentrale Rolle spielt, präferieren Menschen Menschen. Ich saß vor einiger Zeit auf der Rückreise von Singapur nach München in einem Flugzeug, das von einem Blitz getroffen worden ist. Das war zunächst beunruhigend. Die anderen Passagiere und ich waren sehr dankbar für einen menschlichen Kapitän im Cockpit, der mit vertrauenswürdiger Stimme erläuterte, dass er selbst schon viele Blitzeinschläge auf sein Flugzeug erlebt habe und dass wir nichts zu befürchten haben.
  • Emotionales: Last but not least: In allen Tätigkeitsfeldern, in denen emotionaler Mehrwert geschaffen wird, ist der Mensch kaum zu ersetzen. Ein aufrichtiges Lächeln zwischen zwei Menschen, eine sanfte Berührung, das vermittelte Gefühl von Wertschätzung, Warmherzigkeit, Aufmerksamkeit und Geborgenheit: das ist uns Menschen vorbehalten. Es gibt so viele Tätigkeiten in der Arbeitswelt – nicht nur in der Dienstleistungsbranche – bei denen Emotionales so gefragt ist. Und leider zu wenig gelebt wird.

Wenn diese humanen Super Skills erstens miteinander kombiniert und zweitens mit Technologiekompetenz zusammengeführt werden, entstehen nachhaltig wertvolle und schwer zu ersetzende Qualifikationsprofile. Hier ein paar konkrete Beispiele:

  • Ein Zahnarzt, der sich mit ausgeprägter Feinmotorik im Mundraum des Patienten bewegt, empathische Worte findet, wenn der Patient Angst vor der Behandlung hat und neueste medizinische Technologien sinnvoll anwenden kann, ist schwer durch einen Zahnarzt-Roboter zu ersetzen.
  • Eine Lehrerin, die das Potenzial ihrer Schüler erkennt, ihnen aufmerksame Zugewandtheit und Warmherzigkeit im Unterricht schenkt und neue Technologien wie künstliche Intelligenz für individualisierbare Lernpfade einsetzt, ist kaum durch rein digitale Lernformate zu ersetzen.
  • Und eine Führungskraft, die integrativ und inspirierend wirkt, das Potenzial diverser Teams heben kann, Menschen begeistert, Stimmungen wahrnimmt, ohne dass sie ausgesprochen werden und bei Entscheidungen auch auf Intuition und anderslautende Meinungen hört, ist kaum durch einen Führungsroboter zu ersetzen.

What’s next?

Das Jahr 2025 wird auch das Jahr sein, in welchem KI-Agenten Einzug in unsere Arbeitswelt halten werden. KI-Agenten stellen die nächste Stufe der KI-Revolution dar. Sie können individuell angepasst werden und dann selbstständig für uns Menschen agieren. Sie können auf unseren Rechnern eigenständig Aufgaben ausführen, die wir an sie übertragen haben. Salesforce-Chef Marc Benioff prognostizierte Anfang des Jahres, dass bis Ende 2025 eine Milliarde Agenten auf seiner Agentforce-Plattform entstehen und sagte: „Jahrzehntelang sei Wirtschaftswachstum abhängig von menschlicher Arbeitskraft gewesen. Jetzt seien Produktivitätssprünge nur noch an Technologie gebunden, die unbegrenzt skalierbar sei.“

Der Mann muss das so zugespitzt formulieren, denn so fördert er sein Geschäftsmodell.

Ich bin allerdings der festen Überzeugung, dass Produktivitätssprünge nicht nur an Technologie gebunden sind, sondern an leistungsfähige, motivierte, lernfähige Menschen, die Technologiekompetenz kombinieren mit den hier erläuterten Deep Human Super Skills.

Eine richtig gute Arbeitswelt ist nicht nur produktiv, sondern auch menschlich. Wir haben jetzt die Chance, mit Hilfe von Technologie eine Arbeitswelt zu schaffen, die deutlich cooler, aber auch deutlich wärmer ist.