Fragen, die wir uns jetzt stellen sollten
Muss sich unser Denken verändern, wenn eine künstliche Intelligenz in vielerlei Hinsicht das menschliche Denken ergänzen und erweitern wird? Wie erlernen wir die Fähigkeit des „Augmented Thinking“ unter Rückgriff auf eine KI, ohne dabei sukzessive zu „verdummen“ und unsere humane Intelligenz erschlaffen und die Maschinen übernehmen zu lassen? Wie trainieren wir gerade jene Facetten unserer humanen Intelligenz, die einer künstlichen Intelligenz überlegen sind und die wir für einen harmonischen „Tanz des Menschen mit den Maschinen“ benötigen werden?
Gestern las ich in der NY Times über AI und die Effekte von ChatGPT:
„(…) this is going to change everything about how we do everything.“
In diesem einfachen Satz steckt so vieles, was nicht einfach werden wird. Nämlich kluge Antworten auf durchaus existentielle Fragen zu finden, die wir uns unausweichlich stellen müssen. Zum Beispiel…
- Regulierung: Wie regulieren wir diese transformative Schlüsseltechnologie auf internationaler Ebene, um einerseits das riesige Potenzial zu nutzen und andererseits Schaden vom Menschen und einen unkontrollierten Einsatz von KI abzuwenden?
- Qualifizierung: Wie qualifizieren wir uns für den anstehenden gewaltigen Transformationsprozess, der unsere privaten und beruflichen Lebenswelten massiv betreffen und uns allen Lernbereitschaft und Anpassungsfähigkeit abverlangen wird? Wie stellen wir sicher, dass die qualifikatorische Schere aus digital gebildeten und digital abgehängten Menschen kleiner und nicht größer wird?
- Nachwuchsgewinnung: Wie sensibilisieren wir bereits Kinder für einen bewussten Umgang mit einer künstlichen Intelligenz und begeistern Nachwuchstalente, künstliche Intelligenz nicht nur anzuwenden, sondern aktiv gestalten und entwickeln zu wollen und entsprechende Ausbildungswege einzuschlagen?
Die Qualität der Antworten auf diese Fragen wird entscheidenden Einfluss auf unseren Wohlstand von morgen nehmen.
Investitionen in den Komplementär der künstlichen Intelligenz
Fakt ist: Um die Chancenpotenziale der künstlichen Intelligenz bestmöglich und reflektiert nutzen zu können, bedarf es gleichermaßen Investitionen in ihr Komplementär: die humane Intelligenz.
Daher möchte ich in dieser Newsletterausgabe beleuchten, welche „neue Art zu denken“ wir benötigen, um unsere humane Intelligenz für das Zusammenwirkung mit der künstlichen Intelligenz bestmöglich vorzubereiten. Ziel sollte sein, unsere humane Intelligenz gerade in jenen Bereichen zu stärken, die eine künstliche Intelligenz (Stand heute!) nur unzureichend abbilden kann. So lassen sich im Idealfall die Intelligenzen von Mensch und Maschine komplementär zusammenführen, um mit dieser „Augmented Intelligence“ die großen Herausforderungen unserer Zeit besser lösen zu können.
Dabei muss uns bewusst sein: Die nachfolgend beschrieben Art zu denken und unsere humane Intelligenz zu trainieren, zählt zu den ganz wesentlichen Future Skills.
Investitionen in diese Art zu denken, werden sich in jedem Fall auszahlen. Doch die Grenzen der Leistungsfähigkeit zwischen humaner und künstlicher Intelligenz verschieben sich fortlaufend. Das haben uns gerade die letzten Monate gezeigt. Daher ist es erforderlich, unser Denken fortlaufend an die Dynamik der Entwicklungen anzupassen. Dies bedarf fortlaufender Investitionen in unsere individuelle Lernfähigkeit als die grundlegendste Metakompetenz unserer Zeit. Kaum eine Fähigkeit lässt sich dabei schwerer trainieren als unsere Fähigkeit, zu denken. Denn es berührt nicht nur unser persönliches Skill-Set, sondern auch unseren Blick auf uns selbst und jahrelange Sozialisierung in unserem Denken. „Intellectual Humility“, also das Mindset, mit Demut auf unseren eigenen Intellekt zu blicken und zu erkennen, wenn und in welchen Facetten wir uns in unserem Denken weiterentwickeln müssen, unterscheidet Menschen, die fortschrittlich denken von solchen, die altersunabhängig zu „Denkdinosauriern“ werden.
Wie Maschinen „denken“ lernen
Um sich von einer künstlichen Intelligenz im positiven Sinne als Menschen zu differenzieren, sollten wir – zumindest in Grundzügen – verstehen, wie Maschinen das Denken lernen und „Denkergebnisse“ automatisch produzieren. Daher vorweg eine kurze, stark vereinfachte Beschreibung, wie KI-basierte Large Language Models wie etwa ChatGPT funktionieren: Die Systeme werden mit Billionen bereits existierender Textdaten aus dem Internet trainiert. Sie werden mit jedem weiteren Datensatz besser darin, auf Basis von Wahrscheinlichkeiten Buchstabenabfolgen und Sätze zu bilden, die wiedergeben, was bereits einmal als Datensatz produziert worden ist. Experten bezeichnen solche Systeme als „stochastische Papageien“, die sehr gut darin sind, Muster zu erkennen, und dennoch letztendlich „nachplappern“, was im Internet an Informationen bereits existiert. Die Gefahr dahinter ist, dass KI-Systeme noch regelmäßig „halluzinieren“ und Fehlinformationen produzieren können. Die Ergebnisqualität hängt direkt von der Qualität der eingespeisten Daten und der Logik der zugrunde liegenden Algorithmen ab. Dabei halten wir die von der KI produzierten Sätze durchaus für menschlich und damit viel zu oft für verlässlich, weil sie von Sätzen abgeleitet werden, die ursprünglich von Menschen so formuliert worden sind.
Damit wird klar: Diese Art, zu denken, muss um menschliches Denken ergänzt werden.
Welche Facetten des menschlichen Denkens wichtiger werden
Die gute Nachricht lautet: Die Art und Weise, wie maschinelles Denken funktioniert, lässt uns viel Raum, um uns als Menschen mit unserer humanen Intelligenz zu positionieren. Was also wird wichtiger?
- Selber Denken: Vor- statt Hinterherdenken, gedanklich in die Zukunft springen, denn Maschinen werden aus vergangenenheitsbezogenen Daten gespeist
- Kreatives Denken: Neue Denkbahnen, neue, ungewöhnliche Verknüpfungen erschließen; Informationen und Lösungsansätze kombinieren, die in der Vergangenheit nicht verbunden worden sind
- Vernetztes, kontextbezogenes Denken: Verschiedene fachliche Disziplinen und Intelligenzen verschiedener Menschen durch Austausch und gemeinsames Denken zusammenführen; sich gerade auch mit widersprüchlichen, anderslautenden Meinungen auseinandersetzen, in den Wettbewerb der besten Ideen treten
- Kritisches Denken: Den Status-Quo des bisherigen Denkens challengen, Hinterfragen, was uns an Informationen präsentiert wird (gerade für leicht manipulierbare Informationen aus dem Netz gilt: Im Zweifel für den Zweifel)
- Out-of-the-Box-Denken: Überraschende, unlogische Datenpunkte im Denken zusammenführen und testen
- Disruptives Denken: Sich selbst an die Grenze seiner persönlichen Vorstellungskraft führen, das Undenkbare Denken
- Ethisches Denken: Menschliches Werteverständnis in Entscheidungsfindungen integrieren
- Empathisches Denken: Die Auswirkungen seiner Denk- und Verhaltensweisen auf die Gefühle und Empfindungen anderer Menschen berücksichtigen
- Intuitives Denken: Dem menschlichen Bauchgefühl bei Entscheidungsfindungen Raum geben, sie mit der Mustererkennung durch eine KI zusammenführen und sorgfältig abwägen
Diese Liste ließe sich noch weiter fortsetzen und schon bald aktualisieren. Und es fällt vermutlich auf, dass die meisten von uns „room for personal improvement“ in diesen Denkkategorien feststellen, denn unser Bildungssystem aus Erstausbildung und beruflicher Weiterbildung bereitet auf diese Art zu denken nur unzureichend vor.
Packen wir es also an. Trainieren wir das, was wir als Menschen besser können als die Maschinen. Investieren wir in unsere Teamfähigkeit mit der künstlichen Intelligenz, indem wir unsere humane Intelligenz stärken. Zusammen können wir ein kraftvolles, schlagkräftiges Team bilden, das Aufgaben effizienter und effektiver erledigen kann.
Schließen möchte ich meinen heutigen Blogeintrag mit einem sehr passenden Zitat von Sebastian Dettmers, der im Buch „Von Artificial Intelligence zu Augmented Intelligence“ konstatiert: „(…), dass es nichts zu bewahren gibt, außer der Freiheit, die Dinge heute neu zu denken und neu zu gestalten.“
PS: Im Urlaub war das oben genannte Buch von Jan Hiesserich und Paula Cipierre von Palantir Technologies meine Pool-Lektüre. Absolut empfehlenswert, um mit einem holistischen Blick auf Künstliche Intelligenz zu blicken.