Das Jahrzehnt der generativen #KI nimmt an Fahrt auf

Diesen Newsletter „Future of Work, Future Skills“ habe ich vor einigen Wochen gestartet, um aktuelle Trends und Erkenntnisse zur Zukunft der Arbeit – insbesondere hinsichtlich des Einsatzes von künstlicher Intelligenz – mit einer breiteren Community auf LinkedIn zu teilen. Ich bin davon überzeugt, dass wir Professoren unser Wissen nicht nur in Vorlesungen und Fachzeitschriften teilen sollten, sondern mit allen, die das Forschungsgebiet betrifft. Nach 10 Ausgaben zählt dieser Newsletter inzwischen zu den reichweitenstärksten im deutschsprachigen Raum. Dabei fällt auf, dass das Thema, wie wir in Zukunft als Mensch-Maschine-Teams auf Basis einer komplementären Intelligenz aus humaner und künstlicher Intelligenz arbeiten werden, längst nicht nur Personaler und Führungskräfte bewegt, sondern funktions-, hierarchie- und branchenübergreifend auf Interesse stößt. Mein Ansporn, auch weiterhin relevanten Content hierzu zu liefern, ist hoch. Denn wir stehen vor einer fundamentalen Transformation der Arbeitswelt, die wir neu denken müssen. Unsere Unternehmen, die derzeit angesichts von Stapelkrisen und technologischem Wettbewerb insbesondere mit China und USA vor der ganz besonderen Herausforderung stehen, unsere Geschäftsgrundlagen und Arbeitsplätze für die Zukunft zu sichern, sind auf Belegschaften angewiesen, die bereit und fähig sind, die erforderliche Transformation mitzugestalten.

Selbstzufriedenheit, Status-Quo-Verliebtheit oder Sättigungsgefühl der Beschäftigten sind so fehl am Platz wie nie. Wir erleben mit der exponentiellen Entwicklung der generativen künstlichen Intelligenz eine historische Zäsur, die fundamental verändert, wie wir in Zukunft arbeiten werden. Damit ist die viel zitierte „Zeitenwende“ auch in der Arbeitswelt angekommen: Etablierte Geschäftsmodelle werden durch KI infrage gestellt, Geschäftsprozesse neu ausgerichtet, Aufgaben zwischen Mensch und Maschine neu verteilt, bestimmte Kompetenzen werden entwertet. Dabei nimmt das Jahrzehnt der generativen KI erst jetzt richtig Fahrt auf, d.h. wir haben die größten Veränderungen noch vor uns. Stephan Scheuer, Silicon Valley Korrespondent beim Handelsblatt, drückt die Situation wie folgt aus:

„Die Entwicklung vollzieht sich in so atemberaubender Geschwindigkeit, dass keiner vorhersagen kann, was in drei Monaten sein wird. Das Einzige, was wir wissen, ist, dass unser Wissen von heute dann veraltet sein wird.“

Zu den wichtigsten Future Skills für uns Menschen zählen vor diesem Hintergrund unsere persönliche Lernbereitschaft, unsere Anpassungsfähigkeit sowie unsere Fähigkeit, uns selbst an die Grenzen unserer persönlichen Vorstellungskraft zu führen. Zudem müssen wir lernen, mit wachsender Ambiguität umgehen zu können.

Ambiguitive Botschaften des Arbeitsmarkts

Für Verwirrung vieler Menschen sorgt, dass der Arbeitsmarkt derzeit schwer zu lesen ist und scheinbar widersprüchliche Botschaften sendet:

  • Einerseits erleben wir derzeit den wohl größten Arbeits- und Fachkräftemangel der Nachkriegszeit. Stellen bleiben unbesetzt, der Arbeitsmarkt ist ein Bewerbermarkt, kluge Köpfe und fleißige Hände sind umkämpfte Mangelware. Experten warnen vor der sich weiter zuspitzenden „Arbeiterlosigkeit“, weil bis 2030 dem deutschen Arbeitsmarkt aufgrund der demographischen Entwicklung nochmals 3 Mio. Arbeitskräfte abhanden kommen werden. Die Frage, „Wie gewinnen und halten wir die passenden Mitarbeiter?“, darf nicht nur die HR-Abteilungen umtreiben, sondern gehört auf die Agenda des Top-Managements von Unternehmen.
  • Andererseits warnen führende KI-Experten vor massenhafter „Arbeitslosigkeit“ von Menschen, deren Arbeitsleistungen in Zukunft von einer KI nicht nur ergänzt, sondern ersetzt werden. Sie mahnen die Politik an, sich proaktiv mit Lösungen hierfür zu befassen, um den flächendeckenden Verlust von Arbeitsplätzen sozial abzufedern, der womöglich bereits in den kommenden Jahren auf uns zukommen wird.

Die paradoxe Situation also ist, dass Technologie das Potenzial in sich trägt, den derzeitigen Fachkräftemangel zu lindern. Sie hat aber auch das Potenzial, menschliche Arbeitskraft zu entwerten, wenn die Menschen nicht bereit sind, das Richtige zu lernen und sich immer wieder neu aufzustellen, wenn sich die Aufgabenverteilung im Mensch-Maschine-Team durch veränderte Leistungspotenziale auf beiden Seiten verändert.

Future of Jobs Report 2023: Alles ist im Fluss

Der jüngst erschienene „Future of Jobs Report 2023” des World Economic Forums legt dar, dass weltweit schon in den nächsten vier Jahren ca. 83 Millionen Jobs durch neue Technologien wie KI verschwinden dürften. Gleichzeitig wird geschätzt, dass ca. 69 Millionen neue Jobs dadurch geschaffen werden, die neue Fähigkeiten erfordern. Ferner geht der Report davon aus, dass 44 Prozent der bestehenden Fähigkeiten von Mitarbeitern in den nächsten fünf Jahren „disruptiert“ werden, d.h. sie verlieren an Bedeutung, so dass massiv in gezieltes Up-Skilling und Re-Skilling investiert werden muss. Lebenslanges Lernen wird damit zur unangefochtenen Superkompetenz unserer Zeit. Wer nicht bereit ist, zu lernen und sich fortlaufend auf neue Anforderungen und Aufgabenverteilungen einzustellen, verliert seine Beschäftigungsfähigkeit.

Lernen bedeutet „geteilte Verantwortung“

Dies führt mich zu der entscheidenden Botschaft in diesem Newsletter: Damit Lernprozesse gelingen können, braucht es eine geteilte Verantwortung zwischen Lernenden und demjenigen, der Lernangebote macht (Schule, Hochschule, später Arbeitgeber). Ohne das beidseitige Engagement und die akzeptierte Verantwortung:

  • zu erkennen, was zu welchem Zeitpunkt zu lernen ist,
  • die Bereitschaft, Überholtes zu verlernen und
  • die Bereitschaft, neue Fähigkeiten sowie Denk. und Verhaltensmuster neu zu erlernen 

werden Lernprozesse keine Früchte tragen. Vielmehr geht es darum, sich selbst als „Beta-Version“ von sich selbst zu begreifen, die laufend Feedback- und Updateschleifen benötigt, um am Puls der Zeit zu bleiben.

In meiner aktuellen Studie „Wie ticken Deutschlands Digitalraketen?“ haben sich die befragten MINT-Studierenden mehrheitlich sehr positiv für folgendes Arbeitszeitmodell für eine „geteilte Verantwortung“ fürs Lernen ausgesprochen: Für jede Stunde bezahlte Arbeitszeit pro Woche sind die jungen Menschen bereit, eine Stunde Freizeit zu investieren, um das Gelernte zu vertiefen. Favorisiert wird dabei folgendes konkretes Modell: Der Arbeitgeber stellt wöchentlich 2 Stunden bezahlte Arbeitszeit und entsprechende Lernangebote zur Verfügung. Die Mitarbeiter investieren ihrerseits zusätzlich 2 Stunden Freizeit pro Woche, so dass jede Woche ein „halber Arbeitstag (4 Stunden)“ dezidiert dem Lernen gewidmet ist.

Lernen ist keine Kür-Übung, sondern längst Pflicht, um mit dem rasanten Wandel in der Arbeitswelt Schritt halten zu können. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir eine lernende Gesellschaft werden, die aus lernbegeisterten Individuen besteht, die von Bildungssystem und Arbeitgebern wirkungsvoll dabei unterstützt werden, das Richtige zur richtigen Zeit zu lernen. Und bevor wir damit beginnen, erneut zu lamentieren, dass wir davon weit entfernt sind, schlage ich vor, dass wir einfach mal machen und dabei mit uns selbst beginnen.

Ich persönlich schließe meinen Arbeitstag stets mit folgenden beiden Reflexionsfragen ab?

  1. Was habe ich heute Neues gelernt, welche neuen Denkimpulse habe ich aufgenommen?
  2. Habe ich heute Wissen geteilt und andere unterstützt, zu lernen?

Wenn ich mir zu viele Tage hintereinander die beiden Fragen nicht substantiell beantworten kann, stelle ich meinen Terminkalender um.

Unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit und zukünftiger Wohlstand hängen ganz entscheidend davon ab, wie fähig und bereit wir sind, uns anzupassen und zu lernen. Und dafür tragen wir alle Verantwortung.