Dieser erste Artikel im neuen Jahr beginnt mit einer unbequemen Wahrheit:

Die Geschwindigkeit der Veränderung wird nie mehr so langsam sein wie heute.

Dabei kenne ich heute schon kaum jemanden, der derzeit mit der Geschwindigkeit der neuen Entwicklungen im Bereich generativer künstlicher Intelligenz (GenAI) mit täglich neu hinzukommenden Tools und Anwendungsmöglichkeiten gut hinterherkommt. Das deckt sich mit den Aussagen von Sam Altman, CEO von OpenAI, der auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos von einer „exponentiellen Entwicklung“ dieser Technologie sprach, die bereits in diesem Jahr für viele von uns unsere Arbeit substantiell verändern wird. Damit sollte uns allen klar werden, dass ein „Weiter so“, wie wir bislang arbeiten, spätestens jetzt ab 2024 keine kluge Strategie mehr ist. Wir können uns jetzt bewusst entscheiden,

  • „Early Adopter“ in Hinblick auf unsere Zusammenarbeit und Qualifizierung für den smarten Umgang mit GenAI zu werden (meine persönliche Strategie),
  • mit dem Mainstream mitzuschwimmen und auf passende Angebote von Arbeitgeber und Bildungssystem (und eine Lücke im vollen Terminkalender) zu warten oder
  • als Status-Quo-Verliebte diese Entwicklung zu verschlafen.

Unternehmen und Individuen, die den letzten Ansatz wählen, verspielen heute ihre Wettbewerbs- und Beschäftigungsfähigkeit für morgen.

2024: GenAI entwächst den Babyschuhen und geht in die Anwendung

Das Jahr 2023 war das Jahr, in dem wir mit GenAI herumgespielt, ausprobiert und experimentelle „Sandbox-Projekte“ im Unternehmen eingerichtet haben, um uns spielerisch mit den Funktionalitäten dieser bahnbrechenden Technologie auseinander zu setzen. 2024 ist das Jahr, in dem wir GenAI in ausgewählten Bereichen zur Anwendung und zur Skalierung bringen sollten, um die großen Potenziale dieser Technologie zu nutzen. Dabei geht es aber nicht nur um Effizienzgewinne in Form von Produktivitätssteigerungen. Es geht insbesondere um das Neudenken von Geschäftsmodellen, das Neudenken der Arbeitsverteilung zwischen Mensch und Maschine und um spürbar bessere Ergebnisse bei der Zusammenführung von humaner und künstlicher Intelligenz zu einer schlagkräftigen „Augmented Intelligence“.

Lernen im Ökosystem

Mein gestriger Arbeitstag war vor diesem Hintergrund – wie sooft- dem Lernen gewidmet – und zwar dem Lernen im Ökosystem. Warum im Ökosystem? Weil Veränderungsintensität und -geschwindigkeit im Bereich der GenAI so stark ausgeprägt sind, dass individuelles Lernen sowie das Lernen innerhalb der eigenen Organisationsgrenzen nicht mehr ausreichen, um mit den Entwicklungen Schritt zu halten. Wir brauchen hier mehr denn je den Erfahrungsaustausch, cross-sektorale und branchenübergreifende Gespräche und organisationsübergreifendes Best-Practice-Sharing.

Den Vormittag habe ich daher auf Einladung von Christian Weiss im Münchner Office der Boston Consulting Group verbracht, um mir von ihm das „BCG GenAI Lab“ zeigen zu lassen. Ich war beeindruckt, wie stark die Produktivitätsgewinne und damit die Disruption der bisherigen Arbeitsweisen in der Beratungsbranche sind.

GenAI-Tools können beispielsweise

  • die weltweite unternehmensinterne Wissensdatenbasis mit allen bisherigen Projektlösungen und aktuellen Analysen auf Knopfdruck auswerten und mit relevanten externen Studien verknüpfen, um kundenspezifische Lösungen zu generieren,
  • verschiedene Planungs- und Strategieszenarien mit unterschiedlichen Variablen simulieren,
  • Präsentationen automatisiert erstellen und sowohl graphisch als auch inhaltlich optimieren,
  • Plausibilitätsüberprüfungen durchführen sowie
  • Zusammenfassungen, Protokolle und Übersetzungen in unterschiedlichen Sprachen erstellen.

Mit den bereits jetzt verfügbaren Tools können bis zu 40% der Arbeitszeit von Consultants eingespart und für andere Aufgaben eingesetzt werden. Viele dieser Anwendungsfälle lassen sich dabei durchaus auch auf andere Branchen übertragen. Ich fühlte mich bei der Demonstration dieser Use Cases an meine eigenen ersten Berufsjahre in der Beratungsbranche erinnert, die ich deswegen nach weniger als drei Jahren wieder verlassen hatte, weil ich keine Lust mehr verspürte, ermüdende Datenbankrecherchen zu betreiben, Präsentationen und Excel-Sheets zu erstellen und Executive Summaries zu schreiben.

Mit diesen konkreten Use Cases aus der Beratungsbranche im Kopf verbrachte ich den gestrigen Nachmittag dann im Münchner Microsoft Office, wo mir Christian Schaetz, CFO von Microsoft Deutschland, zeigte, wie er seine Finance Organisation KI-basiert steuert. Jedem Mitarbeiter steht die KI wie ein virtueller Assistent zur Seite, um in den Bereichen „Prediction“ (What will happen?), Recommendation (What should I do?) und „Automation“ (Is it repeatable?) zu unterstützen und Entscheidungen vorzubereiten. Damit können Fehler reduziert und die Arbeit substantiell beschleunigt werden.

Ich freue mich, demnächst in einem individuellen Training in die spezifischen Funktionalitäten der neuen CoPilot Funktionen eingeführt zu werden. Diese GenAI-Toolkompetenz ist aus meiner Sicht nicht nur für Mitarbeiter, sondern auch für Führungskräfte – inklusive dem Topmanagement – wichtig. Denn es geht dabei nicht nur um die Steigerung der eigenen Arbeitseffizienz und -effektivität. Es geht hierbei insbesondere auch um die persönliche Sensibilisierung dafür, welches Potenzial die GenAI tatsächlich mit sich bringt. Eine Zeitinvestition von wenigen Stunden, die sich bereits nach kurzer Zeit amortisiert haben dürfte.

Welche Botschaften werden für unsere Arbeit in 2024 wichtig?

  1. Weiterbildung muss in gänzlich neuen Maßstäben gedacht werden. 2-3 Weiterbildungstage pro Jahr reichen nicht mehr aus, um mit den rasanten Entwicklungen Schritt zu halten, sie führen lediglich zu einem gefährlichen Halbwissen, das nach wenigen Monaten wieder veraltet ist. Die Weiterbildung muss fortlaufend über das Jahr erfolgen mit einem Mix aus unterschiedlichen virtuellen Lernformaten, Präsenztrainings und Schulungen, in der die Technologie vom User direkt in spezifischen Anwendungsbereichen eingesetzt und der konkrete Nutzen spürbar wird. Learning Journeys müssen holistisch konzipiert werden und nicht nur technologische Anwendungskompetenz, sondern auch die Spielregeln zum Umgang mit den Technologien (Governance, Datenschutz und Compliance) sowie relevante Sozialkompetenzen in den Mittelpunkt stellen. Der unternehmensübergreifende Wissens- und Erfahrungsaustausch („Lernen im Ökosystem“) wird noch wichtiger. Auch der individuellen Eigenverantwortung für das lebenslange Lernen kommt eine noch größere Rolle als bislang zu.
  2. Wir müssen Stellenbeschreibungen neu denken. Nicht nur, weil sich unsere Aufgaben so dynamisch verändern, sondern auch, weil wir Lernen als integralen Bestandteil unserer Stellenbeschreibung sehen und Raum in unseren vollen Kalendern hierfür schaffen müssen – ironischerweise führt der Einsatz von GenAI ja zu individuellen Zeiteinsparungen, die wir reallokieren können, um den Umgang mit GenAI zu erlernen.
  3. Wir müssen unsere beruflichen Identitäten von unseren jeweiligen Aufgabengebieten entkoppeln. Wer heute in einer bestimmten Rolle arbeitet, muss sich darauf einstellen, morgen eine andere einzunehmen und inhaltlich und prozessual andere Tätigkeiten auszuführen. Es macht Sinn, seine berufliche Identität stärker an seinen persönlichen Werten auszurichten, als an ursprünglicher Ausbildung und Aufgabenprofil.

Bei all den Unwägbarkeiten, die die weitere Entwicklung von GenAI mit sich bringt, steht doch fest: Die KI-Transformation wird eine gigantische Führungsaufgabe, die mit der Fähigkeit beginnt, sich selbst zu führen und zu transformieren. JETZT ist ein guter Zeitpunkt, damit anzufangen. Schließlich gilt:

„A bright future is always a result of the bright decisions we make in the present.“