“Es gibt eine Sache, die wesentlich teurer ist als Bildung: Keine Bildung.”
Die wertvollste nachwachsende Ressource, die Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt im globalen Wettbewerb besitzt, sind die „Denkfabriken“ in den Köpfen der Menschen, die hier leben. Diese müssen durch ein funktionierendes Bildungssystem aufgebaut und fortlaufend nachgerüstet werden, mit laufenden Updates und dem strategischen Blick in die Zukunft. Unsere Wirtschaft wird derzeit von den Supermächten USA und China massiv herausgefordert, die sich technologisch an die Spitze gesetzt haben und uns gerade bei den so wichtigen datengetriebenen Geschäftsmodellen und zentralen Schlüsseltechnologien der Zukunft in vielen Bereichen abhängen.
Wir brauchen jetzt nichts anderes als „
weltbeste Bildung“, wenn wir unseren Wohlstand in Zukunft sichern möchten. Ich wünsche mir persönlich sehr, dass wir bei dieser Botschaft vom Diskussions- in den so dringend benötigten Handlungsmodus kommen. Denn wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Und für zeitnahe Ergebnisse bei gleichzeitigen großen Veränderungen braucht es eben nicht nur die Politik und das Bildungssystem allein, sondern uns alle: Uns als Individuen, unsere Gesellschaft und privatwirtschaftliche Initiativen, vor allem aber auch unsere Wirtschaft: Denn diejenigen, die in besonderer Art und Weise gerade die Zukunft verändern, sollten in die Pflicht genommen werden, diese anderen auch zu erklären.
Von der technologieskeptischen Gesellschaft zur lernenden Gesellschaft
Obwohl gerade in der Pandemie sehr deutlich wurde, wie groß das Potenzial neuer Schlüsseltechnologien wie Biotechnologie und Künstliche Intelligenz ist, um Lösungen wie einen neuen Impfstoff in Rekordgeschwindigkeit zu entwickeln, sind viele Menschen in diesem Land technologieskeptisch. Die Schere zwischen technologisch gebildeten und technologisch abgehängten Menschen geht weiter auf. Darin liegt viel gesellschaftlicher Zündstoff verborgen und spaltet eine ohnehin schon recht gespaltene Gesellschaft noch mehr. Schon jetzt prognostizieren Experten die Gleichzeitigkeit von „Arbeitslosigkeit“ und „Arbeiterlosigkeit“, wobei mit letzteren die so dringend benötigten Fachkräfte im Bereich verschiedener Mangelqualifikationen gemeint sind. Die Antwort darauf muss ein
grundlegendes Update und eine Erweiterung unseres bisherigen Bildungssystems sein, was dazu führt, dass lebenslanges Lernen vom Buzzword zur tatsächlich gelebten Realität wird. Ziel muss sein, eine
lernende Gesellschaft zu werden. Wir müssen hierfür der berufsbegleitenden Weiterbildung denselben Stellenwert einräumen wie der Erstausbildung. Denn Bildung ist kein Endzustand, sondern ein Prozess und muss sich fortlaufend erneuern. Sie muss die
Mehrdimensionalität an Anforderungen widerspiegeln, die im hoch technologisierten, global und digital-vernetzten 21. Jahrhundert an alle Menschen gestellt werden. Es geht insbesondere auch darum, die Menschen schon heute für die Anforderungen von morgen zu qualifizieren und für die Tätigkeitsprofile der Zukunft zu begeistern. Lernen muss dabei als
Lust und nicht als Last empfunden werden, sonst ist es nicht nachhaltig. Wir müssen es schaffen, dass wir eine
Sogwirkung für jene Qualifikationen erzeugen, die unsere Wirtschaft so dringlich braucht. Sei es Cyber Security, Data Analytics, Softwareentwicklung, Hyper Automation, Robotics oder Cloud Computing: Es muss gerade für junge Menschen „sexy“ sein, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen und für Berufserfahrene, sich genau in diese Bereiche hinein zu entwickeln.
Upskilling und
Reskilling lauten die Maßnahmen, in die sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer in Zukunft noch viel mehr investieren müssen. Und zwar im Sinne einer „
geteilten Verantwortung“: Beide Seiten müssen bereit sein, zu investieren.
Digitale Bildung: Kein Elitenphänomen
Digitale Bildung sowie ein grundlegendes Verständnis der neuen Schlüsseltechnologien müssen als wesentliche Bestandteile einer zeitgemäßen Allgemeinbildung gewertet werden. Digitale Bildung darf dabei
kein Elitenphänomen sein. Jeder Mensch, der sich in der digitalen Welt bewegt, indem er beispielsweise im Internet surft, Mails versendet oder Einkäufe tätigt, benötigt
digitale Basiskompetenz. Dies betrifft damit bereits Grundschüler oder auch Rentner. Auch diese Altersklassen müssen auf Basis altersgerechter Angebote ausgebildet werden, um sich bewusst, sicher und verantwortungsvoll in der digitalen Welt zu bewegen. Die nach 1980 geborenen „Digital Natives“ sind nicht per se digitalkompetent. Viele agieren lediglich als Konsumenten von amerikanischen oder chinesischen Plattformen und Apps und wissen dabei zu wenig über den Wert ihrer persönlichen Daten und wie sie ihre Privatsphäre besser schützen können. Hier sehe ich großen Nachholbedarf für eine bessere Sensibilisierung. Digitale Bildung umfasst aber auch die Stärkung all jener Kompetenzen, die uns nachhaltig von immer intelligenter werdenden Maschinen unterscheiden. Sozialkompetenzen, Wertebewusssein, Selbstreflexion, Resilienz, Kreativität sowie interdisziplinäres Denken und Handeln sind ebenfalls wichtige Elemente von digitaler Bildung, die mit der technologischen Qualifizierung Hand in Hand gehen muss. In Summe benötigen wir eine
grundlegende digitale Alphabetisierung der Gesellschaft.
Sektorenübergreifendes Ökosystem für lebenslanges Lernen
Wir können es uns angesichts der mehrdimensionalen Anforderungen an Bildung und der zeitlichen Dringlichkeit nicht mehr leisten, auf Politik und unser Bildungssystem zu warten und ihnen allein den komplexen Auftrag für lebenslanges Lernen übertragen. Wir benötigen vielmehr ein
sektorenübergreifendes „Ökosystem für lebenslanges Lernen“, das zusätzlich gezielt die Wirtschaft, Gesellschaft und vor allem die Lernenden selbst einbezieht. Gerade die Wirtschaft muss stärker als bislang in die Ausbildung integriert werden. Nicht die Kommerzialisierung des Bildungssystems steht hier im Vordergrund, sondern anwendungsnahe Einblicke und reale, spannende „Use Cases“, die den „Funken überspringen“ lassen und junge Menschen anzünden, sich damit beschäftigen zu wollen. Wir brauchen engagierte Praktiker, die als inspirierende Vorbilder an die (Hoch-)Schulen gehen und Lust auf die Jobs und Tätigkeitsfelder der Zukunft machen. Nur so entsteht die Sogwirkung auf die neu entstehenden Jobs, für die wir so dringend die Fachkräfte von morgen benötigen. Wir brauchen ferner eine Gesellschaft, die ihr Wissen untereinander teilt, bildungsferneren Menschen gezielt die Hand reicht – z.B. auch durch Kompetenzspenden – und gerade in den Familien die so dringend benötigten Sozialkompetenzen und Werte stärkt. Vor allem brauchen wir Individuen, die ihre hohe
Eigenverantwortung für lebenslanges Lernen begreifen. Und die sich immer wieder mit einem neugierigen „
Anfängergeist“ auf bislang unbekanntes Terrain wagen. Denn nachhaltige Lernerfolge finden niemals ohne das persönliche Engagement der Lernenden statt.
Derzeit gibt es weltweit kaum ein Bildungssystem, das mit hoher sozialer Durchlässigkeit über alle Bevölkerungsschichten und Altersklassen hinweg lebenslange Lernprozesse in einem sektorenübergreifenden Ökosystem systematisch fördert und untereinander gut abgestimmt funktioniert. Und zudem konsequent an Werten wie Neugierde, Lernfreude und Selbstbestimmtheit ausgerichtet ist und die Möglichkeiten der Digitalisierung für individualisiertes Lernen und individuell angepasste Lernpfade gezielt nutzt. Für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland besteht nicht nur die Notwendigkeit, sondern im Moment auch die
historische Chance, sich hier an die Spitze zu setzen. Durch die Pandemie und den hervorgerufenen Veränderungsdruck haben wir ein
positives Momentum für echten Wandel und die Bereitschaft, für den großen Sprung nach vorne auch das bislang Undenkbare zu denken und umzusetzen.
Die Investitionen, die wir hierfür tätigen müssen, stellen keine „Bold Bet“ mit hohem Risiko und ungewissem Ausgang dar. Sie werden sich in jedem Fall auszahlen. Natürlich kosten Investitionen in Bildung Geld.
Nicht zu investieren allerdings kostet unsere Zukunft.